Grundsätze

Erd-Charta

Grußwort zur ersten Auflage der deutschen Erd-Charta im Juni 2001.
Knapp ein Jahr vor dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung stehen wir vor großen Herausforderungen: Der Gegensatz zwischen der Armut eines Großteils der Erdbevölkerung und dem Reichtum einer Minderheit ist seit dem Umweltgipfel in Rio de Janeiro 1992 gestiegen. Das Ziel von UN Generalsekretär Kofi Annan, bis zum Jahre 2015 die absolute Armut um 50 Prozent zu halbieren, ist nur mit einer grundsätzlichen veränderten Haltung der Solidarität zwischen den Ländern des Nordens und des Südens zu realisieren. Neben der dramatischen und weiter ansteigenden Armut in den Entwicklungsländern ist das exzessive Konsumverhalten und die ineffiziente Ressourcennutzung in den hochentwickelten Ländern das sicherlich größte Gift für die Stabilität von Natur und Umwelt und für eine friedliche Gestaltung dieser Welt.

Zu den notwendigen Verhaltensänderungen in den hochentwickelten Staaten gehört auch die Rückbesinnung auf gemeinsame Werte und die Erkenntnis, dass die gesamte Menschheit Verantwortung trägt für den Schutz der Umwelt, den Erhalt der Artenvielfalt, die effiziente Nutzung der begrenzten Ressourcen unseres Planeten. Die Erd-Charta verdeutlicht diese Zusammen- hänge auf bestechende Weise. Das Umweltprogramm der Vereinten Nationen unterstützt die in der Charta formulierten Grundsätze und wird sich weiterhin dafür einsetzen, die Kultur der Solidarität zwischen den Kontinenten, zwischen Regierungen und Zivilgesellschaft voranzutreiben. Dies ist kein blauäugiger, sondern ein realistischer Optimismus, der darauf aufbaut, dass mit dem Wissen um die wachsenden Probleme auch die technischen Möglichkeiten und das ethische Verantwortungsgefühl für ihre Lösung gestiegen sind. Es ist meine Hoffnung, dass die in der Erd-Charta formulierten Prinzipien als Leitsätze für Regierungen, Nichtregierungsorganisationen, Industrie und Wissenschaft weltweit und als Grundlage für die Vorbereitungen des Weltgipfels in Johannesburg dienen mögen.

Dr. Klaus Töpfer
Executive-Director of the United Nations Environment Programme (UNEP), Nairobi



Der Weg, der vor uns liegt

Wie nie zuvor in der Geschichte der Menschheit fordert uns unser gemeinsames Schicksal dazu auf, einen neuen Anfang zu wagen. Die Grundsätze der Erd-Charta versprechen die notwendige Erneuerung. Um dieses Versprechen zu erfüllen, müssen wir uns selbst verpflichten, uns die Werte und Ziele der Charta zu eigen zu machen und diese zu fördern.

Das erfordert einen Wandel in unserem Bewusstsein und in unseren Herzen. Es geht darum, weltweite gegenseitige Abhängigkeit und universale Verantwortung neu zu begreifen. Wir müssen die Vision eines nachhaltigen Lebensstils mit viel Fantasie entwickeln und anwenden, und zwar auf lokaler, nationaler, regionaler und globaler Ebene. Unsere kulturelle Vielfalt ist ein unschätzbares Erbe und die verschiedenen Kulturen werden auf eigenen, unterschiedlichen Wegen diese Vision verwirklichen. Wir müssen den globalen Dialog, aus dem die Erd-Charta entstanden ist, vertiefen und ausdehnen; denn wir können bei der andauernden gemeinsamen Suche
nach Wahrheit und Weisheit viel voneinander lernen.

Leben beinhaltet häufig Widersprüche zwischen wichtigen Werten. Das kann schwierige Entscheidungen bedeuten. Aber wir müssen Wege finden, um Vielfalt mit Einheit zu versöhnen, Freiheit mit Gemeinwohl und kurzfristige Anliegen mit langfristigen Zielen. Jeder Einzelne, jede Familie, Organisationen oder Gemeinschaften haben eine wichtige Rolle zu spielen. Kunst und Kultur, Wissenschaften, Religionen, Bildungseinrichtungen, Medien, Wirtschaft, Nichtregierungs-organisationen und Regierungen sind alle aufgerufen, bei diesem Prozess kreativ voranzugehen. Eine Partnerschaft von Regierungen, Zivilgesellschaft und Wirtschaft ist unabdingbar für eine wirkungsvolle Lenkung und Gestaltung unserer Geschicke.

Um eine nachhaltige globale Gemeinschaft aufzubauen, müssen die Nationen der Welt ihre Bindung an die UNO erneuern, ihre Verpflichtungen aufgrund bestehender internationaler Übereinkommen erfüllen, und die Umsetzung der Erd-Charta-Grundsätze zu einem internationalen, rechtlich verbindlichen Instrument für Umwelt und Entwicklung annehmen.

Lasst uns unsere Zeit so gestalten, dass man sich an sie erinnern wird als eine Zeit, in der eine neue Ehrfurcht vor dem Leben erwachte, als eine Zeit, in der nachhaltige Entwicklung entschlossen auf den Weg gebracht wurde, als eine Zeit, in der das Streben nach Gerechtigkeit und Frieden neuen Auftrieb bekam und als eine Zeit der freudigen Feier des Lebens.




Was ist die Erd-Charta ?
Die Erd-Charta versteht sich als eine inspirierende Vision grundlegender ethischer Prinzipien für eine nachhaltige Entwicklung und sie soll ein verbindlicher Vertrag der Völker auf der ganzen Welt werden. Grundlegend sind die Achtung vor der Natur, die allgemeinen Menschenrechte, soziale und wirtschaftliche Gerechtigkeit und eine Kultur des Friedens. Die Grundsätze der Erd-Charta ergeben zusammen ein Konzept für eine nachhaltige Entwicklung und stellen grundlegende Richtlinien für den Weg dorthin dar. Diese Grundsätze sind hergeleitet aus dem Völkerrecht, aus Wissenschaft, Philosophie, Religion, UN-Gipfeltreffen und den bisherigen Erd-Charta-Gesprächen über eine globale Ethik.

Die Erd-Charta stellt fest, dass die ökologischen, ökonomischen, sozialen, kulturellen, ethischen und spirituellen Probleme und Hoffnungen der Menschheit eng miteinander verbunden sind. Die Herausforderungen zu Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden sind eng verknüpft mit dem Schutz der Umwelt und der Sorge um das wirtschaftliche Wohlergehen. Nur in einer globalen Partnerschaft und in gemeinsamer Verantwortung können umfas-sende Lösungen gefunden werden.

Geschichte der Erd-Charta
Im Jahr 1987 schlug die Weltkommission der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung in ihrem Abschlussbericht, dem sog. Brundtland-Bericht, eine Charta der Erde vor, die die Fragen von Umwelt und Entwicklung auf Dauer stärker miteinander vernetzen sollte. Die Brundtland-Kommission hat auch die Zielvorstellungen von einer „nachhaltigen Entwicklung“ (sustainable development) zum ersten Mal populär gemacht. Nachhaltige Entwicklung wurde zum führenden Leitbild der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung (UNCED) 1992 in Rio de Janeiro. In dem Handlungsprogramm „Agenda 21“ wurde es weiter konkretisiert und danach weltweit in vielen lokalen, regionalen und nationalen Agenda 21–Prozessen im Idealfall mit Leben erfüllt. Mit der Erd-Charta sollte ein grundlegender und verbindlicher ethischer Rahmen für verschiedenen Aufgaben und Anliegen der „Agenda 21“ beschrieben und vereinbart werden.

Empowering Document
Insgesamt wird die Erd-Charta von vielen Organisationen für Bildung und Erziehung als ein sehr wichtiges und hilfreiches Instrumentarium für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung begrüßt. Der vorliegende Text soll in einer weltweiten Initiative Menschen "empowern", ihnen zeigen, wie sie in einer nachhaltigen Art und Weise zusammen leben können, und er soll einen breiten Dialog über gemeinsame Werte fördern. Dieses Anliegen ist getragen von der Hoffnung, dass immer mehr Menschen, Gruppen und Initiativen, Institutionen und Regierungen dieser ganzheitlichen ethisch-ökologischen Betrachtungsweise zustimmen.



Vorwort der Erd-Charta

„Earth Charter“ – Final Version vom 24. 03. 2000
Deutsche Übersetzung vom 08. 05. 2001

Präambel
Wir stehen an einem kritischen Punkt der Erdgeschichte, an dem die Mensch-heit den Weg in ihre Zukunft wählen muß. Da die Welt zunehmend miteinander verflochten ist und ökologisch zerbrechlicher wird, birgt die Zukunft gleichzeitig große Gefahren und große Chancen. Wollen wir vorankommen, müssen wir anerkennen, dass wir trotz und gerade in der großartigen Vielfalt von Kulturen und Lebensformen eine einzige menschliche Familie sind, eine globale Gemeinschaft mit einem gemeinsamen Schicksal. Wir müssen uns zusammentun, um eine nachhaltige Weltgesellschaft zu schaffen, die sich auf Achtung1 gegenüber der Natur, die allgemeinen Menschenrechte, wirtschaftliche Gerechtigkeit und eine Kultur des Friedens gründet. Auf dem Weg dorthin ist es unabdingbar, dass wir, die Völker der Erde, Verantwortung übernehmen füreinander, für die größere Gemeinschaft allen Lebens und für zukünftige Generationen.

Die Erde, unsere Heimat
Die Menschheit ist Teil eines sich ständig fortentwickelnden Universums. Unsere Heimat Erde bietet Lebensraum für
eine einzigartige und vielfältige Gemeinschaft von Lebewesen. Naturgewalten machen das Dasein zu einem heraus-fordernden und ungewissen Ereignis, doch die Erde bietet gleichzeitig alle wesentlichen Voraussetzungen für die Entwicklung des Lebens. Die Selbstheilungskräfte der Gemeinschaft allen Lebens und das Wohlergehen der Menschheit hängen davon ab, ob es uns gelingt, eine gesunde Biosphäre zu bewahren mit all ihren ökologischen Systemen, dem Artenreichtum ihrer Pflanzen und Tiere, fruchtbaren Böden, reinen Gewässern und sauberer Luft. Die globale Umwelt mit ihren endlichen Ressourcen ist der gemeinsamen Sorge aller Völker anvertraut. Die Lebensfähigkeit, Vielfalt und Schönheit der Erde zu schützen, ist eine heilige Pflicht.

Die globale Situation
Die vorherrschenden Muster von Produktion und Konsum verursachen Verwüstungen der Umwelt, Raubbau an den Ressourcen und ein massives Artensterben. Sie untergraben unsere Gemeinwesen. Die Erträge der wirtschaftlichen Entwicklung werden nicht gerecht verteilt und die Kluft zwischen Reichen und Armen vertieft sich. Ungerechtigkeit, Armut, Unwis-senheit und gewalttätige Konflikte sind weit verbreitet und verursachen große Leiden. Ein beispielloses Bevölkerungswachstum hat die ökologischen und sozialen Systeme überlastet. Die Grundlagen globaler Sicherheit sind bedroht. Dies sind gefährliche Entwicklungen, aber sie sind nicht unabwendbar.

Die Herausforderungen
Wir haben die Wahl: Entweder bilden wir eine globale Partnerschaft, um für die Erde und füreinander zu sorgen, oder wir riskieren, uns selbst und die Vielfalt des Lebens zugrunde zu richten. Notwendig sind grundlegende Änderungen unserer Werte, Institutionen und Lebensweise. Wir müssen uns klar machen: sind die Grundbedürfnisse erst einmal befriedigt, dann bedeutet menschliche Entwicklung vorrangig „mehr Sein“ und nicht „mehr Haben“. Wir verfügen über das Wissen und die Technik, alle zu versorgen und schädliche Eingriffe in die Umwelt zu vermindern. Das Entstehen einer weltweiten Zivilgesellschaft schafft neue Möglichkeiten, eine demokratische und humane Weltordnung aufzubauen. Unsere ökologischen, sozialen und spirituellen Herausforderungen sind miteinander verknüpft, und nur zusammen können wir umfassende Lösungen entwickeln.

Weltweite Verantwortung
Um diese Wünsche zu verwirklichen, müssen wir uns entschließen, in weltweiter Verantwortung zu leben und uns mit der ganzen Weltgemeinschaft genauso zu identifizieren wie mit unseren Gemeinschaften vor Ort. Wir sind zugleich Bürgerinnen und Bürger verschiedener Nationen und der Einen Welt, in der Lokales und Globales miteinander verknüpft ist. Jeder Mensch ist mitverantwortlich für das gegenwärtige und zukünftige Wohlergehen der Menschheitsfamilie und für das Leben auf der Erde. Der Geist menschlicher Solidarität und die Einsicht in die Verwandtschaft alles Lebendigen werden gestärkt, wenn wir in Ehrfurcht vor dem Geheimnis des Seins, in Dankbarkeit für das Geschenk des Lebens und in Bescheidenheit hinsichtlich des Platzes der Menschen in der Natur leben.

Für das ethische Fundament der entstehenden Weltgemeinschaft brauchen wir dringend eine gemeinsame Vision von Grundwerten. Darum formulieren wir in gemeinsamer Hoffnung die folgenden eng zusammenhängenden Grundsätze für einen nachhaltigen Lebensstil. Es sind Leitlinien für das Verhalten jedes Einzelnen, von Organisationen, Unternehmen, Regierungen und übernationalen Einrichtungen.


Grundsätze der Erd-Charta

Kurzfassung

1. Achtung haben vor der Erde und dem Leben in seiner ganzen Vielfalt.

2. Für die Gemeinschaft des Lebens in Verständnis, Mitgefühl und Liebe sorgen.

3. Gerechte, partizipatorische, nachhaltige und friedliche demokratische Gesellschaften aufbauen.

4. Die Fülle und Schönheit der Erde für heutige und zukünftige Generationen sichern.

5. Die Ganzheit der Ökosysteme der Erde schützen und wiederherstellen, vor allem die biologische Vielfalt und die natürlichen Prozesse, die das Leben erhalten.

6. Schäden vermeiden, bevor sie entstehen, ist die beste Umweltschutzpolitik. Bei begrenztem Wissen gilt es, das Vorsorgeprinzip anzuwenden.

7. Produktion, Konsum und Reproduktion so gestalten, dass sie die Erneue-rungskräfte der Erde, die
Menschenrechte und das Gemeinwohl sichern.

8. Das Studium ökologischer Nachhaltigkeit vorantreiben und den offenen Austausch der erworbenen
Erkenntnisse und deren weltweite Anwendung fördern.

9. Armut beseitigen als ethisches, soziales und ökologisches Gebot.

10. Sicherstellen, dass wirtschaftliche Tätigkeiten und Einrichtungen auf allen Ebenen die gerechte und
nachhaltige Entwicklung voranbringen.

11. Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Voraussetzung für nachhaltige Entwicklung bejahen und den universellen Zugang zu Bildung, Gesundheitswesen und Wirtschaftsmöglichkeiten gewährleisten.

12. Am Recht aller – ohne Ausnahme – auf eine natürliche und soziale Umwelt festhalten, welche Menschenwürde, körperliche Gesundheit und spirituelles Wohlergehen unterstützt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei den Rechten
von indigenen Völkern und Minderheiten.

13. Demokratische Einrichtungen auf allen Ebenen stärken, für Transparenz und Rechenschaftspflicht bei
der Ausübung von Macht sorgen, einschließlich Mitbestimmung und rechtlichem Gehör.

14. In die formale Bildung und in das lebenslange Lernen das Wissen, die Werte und Fähigkeiten integrieren,
die für eine nachhaltige Lebensweise nötig sind.

15. Alle Lebewesen rücksichtsvoll und mit Achtung behandeln.

16. Eine Kultur der Toleranz, der Gewaltlosigkeit und des Friedens fördern.


Weitere Informationen zur Erdcharta
www.erdcharta.de

Internationale Messe
für nachhaltige Entwicklung
und globale Verantwortung

 

 

 

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